Fotos: Raffaello Raimondi
Magazin
M
Im Dienste der Musik
Sein Brahms war herb bis konzessionslos schroff
und ernst. Bei Mozart verbannte er jede rokokohafte
Eleganz. Und wo andere bei Bruckner Stimmungen
entdeckten, legte er aus dem Notentext Entwicklungs-
bögen und motivische Zusammenhänge frei. Jede Auf-
nahme von Otto Klemperer ist ein Bekenntnis zur klaren
Ausdeutung, ein Versuch der Objektivität, der archi-
tektonischen Transparenz – auch wenn in den letzten
Jahren seine Tempi gefährlich in die Breite gingen. Am 6.
Juli jährt sich zum 40. Mal der Todestag dieses unerbitt-
lichen Dieners in der Sache. Und mit gleich drei unter-
schiedlich bestückten CD-Boxen ist jetzt die „Klemperer
Edition“ komplett, die 2012 mit Einspielungen von Mozart-
Opern, Beethoven und Brahms eröffnet wurde. Alle Auf-
nahmen sind mit jenem London Philharmonia Orchestra
entstanden, das er von 1954 bis fast zu seinem Lebensende
dirigierte. Und selbstverständlich fehlen nicht Klemperers
ungemein gestrafften, die dramatischen Proportionen frei-
legenden Mahler-Interpretationen – darunter auch das
„Lied von der Erde“ mit den Solisten Christa Ludwig und
Fritz Wunderlich als absolutemHöhepunkt. Als erfrischend
durchgeputzt, fernab neo-romantischer Barockpflege, er-
weisen sich dagegen Bachs Orchestersuiten und Branden-
burgischen Konzerte (kein Wunder, dass Nikolaus Harnon-
court den Bach-Dirigenten Klemperer enorm schätzte!).
Der Rundgang durch die klassische Moderne beginnt
bei Strawinskis impulsiv genommener „Sinfonie in drei
Sätzen“ und präsentiert selbst den Komponisten Klemperer
in seiner 2. Sinfonie als versierten Mahler-Jünger. Als
Bonus gibt es ein Radiofeature von Jon Tolansky, bei dem
nicht nur Weggefährten Klemperers zu hören sind, sondern
auch dessen knorrige Stimme.
Guido Fischer
Klemperer-Edition
: Bach, Rameau, Händel, Gluck, Haydn
(8 CDs), Mahler (6 CDs), Hindemith, Klemperer, Strawinski,
Weill (4 CDs),
EMI
Der Edelmann
Das berühmteste Pulttitanen-Treffen der Musikgeschichte
fand 1929 in Berlin statt und wurde glücklicherweise foto-
grafiert. Rechts außen stand Wilhelm Furtwängler. Und
um fast zwei Köpfe überragte Otto Klemperer da
Erich Kleiber, Arturo Toscanini und – ganz links –
den gutmütig lächelnden Bruno Walter. Natürlich
gehörte der Berliner in diesen Kreis der Großen.
Auch wenn manche seiner Kollegen auf Walter
nicht immer gut zu sprechen waren. So schimpfte
Toscanini ihn gar einen „sentimentalen Narren“, da
Walter unerschütterlich an den sittlichen und gött-
lichen Mächten der Musik festhielt.
Angesichts der historisch dunklen Zeiten, die auch
ihn 1939 ins amerikanische Exil trieben, mag Walters
ethisches Credo rückblickend tatsächlich etwas weltfremd
erscheinen. Hört man aber seine zahllosen Aufnahmen,
die er in den USA mit dem Columbia Symphony Orchestra
und den New Yorker Philharmonikern einspielte, mag man
dem harmoniesüchtigen Musiker nicht widersprechen.
Denn allein sein Mozart besaß einen beseelten Zauber
und natürlichen Atem, der einen an die überirdischen
Kräfte der Musik glauben lassen möchte. Ähnliche Erleb-
nisse hat man bei „seinen“ Brahms und Bruckner, die er
im hohen Alter geradezu liebenswürdig schlicht dirigierte.
Und selbst in den Sinfonien seines Freundes Gustav Mahler
bewahrte Walter sich seine ästhetische Integrität, die mehr
auf Schönheit und Versöhnung denn auf Zerrissenheit und
Seelenqual aus war. An all diese wertvollen Sternstunden
erinnert die schwergewichtige CD-Edition mit Aufnahmen
aus Walters letzten zwanzig Schaffensjahren. Und das, was
Leonard Bernstein kurz nach Walters Tod 1962 über den
Menschen gesagt hat, trifft gleichermaßen auf den Musiker
zu: „Er war ein
Mann voller Freundlichkeit und Wärme, Güte und
Hingabe.“
Guido Fischer
Bruno Walter
: The Edition
(39 CDs),
Sony
Ein überzeugter Klangdemokrat
Am Ende, nach dem Es-Dur-Schlussakkord, bricht er aus.
Ein einziger Jubelchor. Und selbst, als sich die Musiker des
Lucerne Festival Orchestra freundschaftlich untereinander
verabschiedet und daraufhin das Podium verlassen
haben, steigert sich das Publikum nochmals,
als Claudio Abbado zurückkehrt und mit
einem Blumenregen bedacht wird. Am 21.
August 2003 feierte man ihn, den Geburts-
vater des eben frisch gegründeten, mit
allerlei Prominenz bestückten Lucerne
Festival Orchestra. Und nicht zuletzt war
man immer noch gefesselt, wie hier ein
sinfonisches Schwergewicht unter Hoch-
spannung gesetzt worden war. Kurz zuvor
hatte der von einer schweren Krankheit ge-
nesene Abbado seinen 70. Geburtstag gefeiert.
Und bald können die sich „Abbadiani“ nennenden
Abbado-Fans ihm zu seinem Achtzigsten gratulieren – am
26. Juni! Zur Einstimmung gibt es schon jetzt einen dicken
CD-Würfel, der sämtliche sinfonischen Einspielungen von
Abbado für die Deutsche Grammophon umfasst. Dazu ge-
hören selbstverständlich die schon sagenumwobenen
Mahler-Aufnahmen wie alle Neune von Beethoven, bei
denen der Italiener über quellenkritisches Partiturstudium
für ungemein moderne Inneneinsichten sorgte. Auch
hier dirigierte Abbado seine Berliner Philharmoniker, mit
denen er ab 1989 eine Ära einläutete, von der selbst sein
Nachfolger Simon Rattle zehrte. Wenn es zudem einen
Star-Dirigenten wider Willen gegeben hat, der zudem für
frischen Wind in der Orchesterlandschaft gesorgt hat, dann
Abbado. Und so begegnet man bei Mozart, Haydn, Schubert
und Mahler seinen sofort erwachsenen Prachtkindern,
dem Mozart Orchestra, dem Chamber Orchestra of Europe
sowie dem Lucerne Festival Orchestra.
Guido Fischer
Claudio Abbado
: The Symphony Edition (41 CDs),
DG/Universal
41
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