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der Bandname andeutet, sondern
eher in einer fehlfarbenen Sci-
ence-Fiction-Landschaft.
e.s.t.-Epigonen? Von wegen.
Mit „Sunset Sunrise“ beweisen „In
The Country“, dass sie mehr mit
Edvard Grieg oder Radiohead ge-
meinsam haben als mit Esbjörn
Svensson
Josef Engels
Caroline Henderson
Lonely House
●●●●○
Sony
(45 Min., kein Auf-
nahmedatum)
[…]
Eins
aber
meidet
die
51-Jährige:
den
swingenden
Combo-Jazz der 1950er. Ihrem
„What Keeps Mankind Alive“ ist
eine bedrohliche, unerbittlich
rumorende Rock-Basis unterlegt,
undder„TrainToHeaven“fährtmit
kreischenden Nebengeräuschen
auf pulsierenden Beats – und
bricht ins Unbestimmte ab. Der
„September Song“ bewegt sich
zwischen
perlenden
Regen-
tropfen-Tönen, und „Mack The
Knife“ lebt in einer scheinbar
heilen Krimi-Welt – allerdings
stören diese ein stark verzögertes
Echo und spitze Gitarrensounds.
„Surabaya Johnny“ ist ihr nur ein
paar Pfiffe wert, und im Titel-
sonderen Maße. Schließlich sind
Pianist Morten Qvenild, Bassist
Roger Arntzen und Schlagzeu-
ger Pål Hausken mittlerweile bei
ACT unter Vertrag, eben jenem La-
bel, das Esbjörn Svensson und den
Seinen einst den Durchbruch in
Europa bescherte.
Keine Ahnung, ob das gewollt
ist oder nicht: Aber der „Birch
Song“, der Auftakt von „Sunset
Sunrise“, klingt mit dem schlep-
penden Besen-Groove sowie in der
Melodieführung fast genauso wie
„Believe Beleft Below“, der größ-
te Balladen-Hit der schwedischen
Superstars. Im späteren Verlauf
verliert das Stück allerdings jegli-
che Ähnlichkeit mit der charakte-
ristisch sonnigen e.s.t.-Melancho-
lie. Das Klavier rutscht in einen
Bass-Abgrund, merkwürdige Stör-
geräusche sind zu vernehmen, die
sich wie das Zirpen eines elektro-
nischen Totenvogels ausnehmen.
Womit der eigentliche Grund-
ton der Aufnahme angeschlagen
wäre.
„Sunset Sunrise“ wird unge-
achtet seiner friedlich-meditati-
ven Oberfläche von einer perma-
nenten Spannung bestimmt. Oft-
malige Klangverfremdungen und
vom Klavier gehämmerte Achtel
erzeugen eine düstere, bedrohli-
che Stimmung. Und selbst, wenn
es mal etwas heiterer zugeht wie
in dem skurrilen „Steelplants“,
wähnt man sich keineswegs be-
haglich auf dem Lande, wie es
und Arthur Blythe, dann Chico
Freeman und John Purcell. Letz-
teres Gespann wurde später um
den Trompeter Baikida Carroll er-
weitert. […] DeJohnette verstärkte
seine immer geschmeidiger wer-
denden Bläsersätze à la Ellington
mit der Melodica, und streng do-
siert ist er als Pianist einer qua-
si ernüchterten Jarrett-Schule
zu hören. Dank der Studiotech-
nik kann er sich dabei selber am
Schlagzeug begleiten. Als die Jazz-
welt innovative akustische Mu-
sik schon in fusionierten elektri-
schen Klangwogen untergehen
sah, war Jack DeJohnette’s Special
Edition Leuchtturm und Verhei-
ßung. Schön, dass sie wieder ver-
nommen wird
Thomas Fitterling
In The Country
Sunset Sunrise
●●●●○
ACT/Edel
(65 Min., 5/2012)
Als Piano-Trio aus Skandinavien
zu kommen, kann eine ziemliche
Bürde sein. Weil man stets Gefahr
läuft, mit dem legendären schwe-
dischen Dreier e.s.t. verglichen zu
werden. Das gilt für die Norwe-
ger von „In The Country“ im be-
Jack DeJohnette
Special Edition
●●●●●
ECM/Universal
(4 CDs, 174 Min.,
1979–1984)
Auch mit siebzig ist Jack DeJoh-
nette der jungenhafte Schlagzeu-
ger, der in der Nachfolge von Tony
Williams zum Fackelträger der af-
ro-amerikanischen Trommeltra-
dition wurde. […] Seine Gesamt-
begabung entfaltete sich von 1979
bis 1984 und ist bei ECM auf den
LPs Special Edition, Tin Can Alley,
Inflation Blues und Album Album
dokumentiert.
Mit einer CD-Box dieser vier
Alben feiert ECM jetzt seinen gro-
ßen Star. Der huldigte damals sei-
ner Vorliebe für Bläser. Zum Ein-
satz kamen die Meister ihrer Ins-
trumente. Das waren zunächst
die Saxofonisten David Murray
Jazz
J
Meilenstein
John Coltrane
The Complete 1961 Village ­ Van-
guard Recordings
Impulse!/Universal
IMP 42322
(11 /1961, 4 CDs)
„COLTRANE : The
Complete 1961 Vil-
lage Vanguard Re-
cordings“. Man beachte, wie die Rezeption
durch diese Titelgebung gelenkt wird, die un-
auffällig ein wenig in die Irre führt. Denn ge-
rade nicht die Fokussierung auf ein monoma-
nisches Saxofongenie macht die eigentliche
Bedeutung dieser Aufnahmen aus; sie sind
vielmehr das wichtigste Dokument der Part-
nerschaft mit Eric Dolphy, der im Juni 85 Jah-
re alt geworden wäre. Er sollte eigentlich mit
auf den Titel, denn anders als die Zusammen-
arbeit mit Johnny Hodges, die Coltrane noch
als Anfänger ausweist oder die Union mit
Pharoah Sanders, die letztlich ein Kräftemes-
sen zwischen Lehrer und Schüler darstellt,
handelt es sich hier um eine Begegnung mit
einem gleichrangigen, stilistisch andersge-
arteten, aber nicht weniger innovativen und
eigenständigen Saxofonisten.
Sie erregte Aufsehen – und Kopfschüt-
teln: Coltrane hatte mittlerweile alle traditio-
nellen Vorstellungen saxofonistischen Schön-
klangs über den Haufen geworfen. Er schrie,
raste, tobte, bebte mit einer selten zuvor so
stark entwickelten Eruptivkraft auf dem Saxo-
fon; sein Klang war beißend scharf geworden,
trübte sich oder quäkte. Die sich überschla-
genden Stimmen von Gospelpredigern, die In-
tensität von Schlangenbeschwörern spiegel-
ten sich in seinem Tenor- bzw. Sopran-Sound.
Dolphys Spiel zeugt kaum weniger von Be-
sessenheit und Getriebenheit als das Coltra-
nes. In rasenden Läufen voller unerwarteter
Intervallsprünge, Wendungen und Atempau-
sen hüpft und windet er sich scheinbar atonal
durch harmonische Labyrinthe, die um ein
Vielfaches komplexer sind als der vergleichs-
weise statische Hintergrund von der Rhyth-
musgruppe, die aus McCoy Tyner (p), Reggie
Workman bzw. Jimmy Garrison (b), Elvin Jo-
nes bzw. Roy Haynes (dr) besteht. Dabei ga-
ckert, kreischt und blökt der quirlige Mann,
der gern zum Zwitschern der Vögel übte,
auf Altsax und Bassklarinette wie eine auf-
gescheuchte Menagerie. Dass der frei chro-
matisch empfindende Dolphy Coltranes Kon-
zeption des modalen Jazz nicht ganz unter-
schreiben konnte – er improvisierte über
hinzugedachte Harmoniegerüste – macht den
Kontrast zwischen den beiden Saxofonisten
besonders spannend.
Marcus A. Woelfle
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