Fotos: Kirsten Nijhof
Wagner-Urschlamm
Oper Leipzig
Richard Wagner: „Die Feen“
Wie ist es möglich, dass ein musikalisches Ass
wie Wagner eine dermaßen fürchterliche Oper
schrieb?! Wirre Handlung. Endlos mäandernde
Matsch-Lawinen. Und Partien, bei denen sich
die sattelfestesten Sänger die Stimme verrenken.
Nichts gegen Wagner generell! Aber „Die Feen“ –
ähnlich dem anderen verstoßenen Frühwerk
„Das Liebesverbot“, aber nicht so schlimm wie
„Rienzi“ – sind ein Lehrstück dieses Wagner-
Jahrs: gerade deswegen, weil man um eine
Erklärung ringt für diesen Bauchklatscher.
Die Aufführung in Leipzig ist nicht Schuld.
Sondern tut, was man vermag. Szenisch auf-
wendig auf diverse Ebenen verteilt und mit un-
zähligen Szenenwechseln aufgehübscht, sorgt
Regisseur René Doucet (früher Choreograf und
Coach von Alfredo Kraus und Mirella Freni) für
Buntheit und Variation. Das Fantasy-Bieder-
meier der Schürzchen, Bausch-Röckchen
und Elefantenärmel bildet einen märchen-
haften Gegensatz zum Spukmittelalter der
Feldherren und Zofen. König Arindal ist ein
Radiohörer von heute, der sich – so will es
das Inszenierungskonzept – von einer Rund-
funk-Übertragung live aus der Oper Leipzig
anstecken und in die Handlung hineinziehen
lässt. Niedliche Sache. Der man die Not freilich
anmerkt, etwas Neues zu schaffen und gleich-
zeitig keine liebe Seele im (diesmal stets aus-
verkauften!) großen Haus der Leipziger Oper
zu verschrecken.
Arnold Bezuyen ward die Krafttenor-
Hauptrolle des Arindal gewiss nicht an der
Wiege gesungen. Er stemmt sich beacht-
lich von Ton zu Ton. Christiane Libor (Ada)
muss vokal wehrhaft militant und schreck-
haft lyrisch zugleich bleiben. Respekt! Dirigent
Ulf Schirmer spielt mit souverän ordnender
Hand den Schupo in diesem permanenten
Stoß- und Kreisverkehr. Die hingebungsvolle
Leistung bringt einen überhaupt erst zu der
Erkenntnis: dass Wagner wohl das einzige
Genie der Musikgeschichte war, das sich der-
maßen aus dem Urschlamm der eigenen Ein-
gebungen hervor gewühlt hat. Anlässlich der
Wagner-Feierlichkeiten dieses Jahres reist
die Produktion dahin, wo diese Einsicht hin-
gehört: nach Bayreuth.
Robert Fraunholzer
Kaufhaus
statt Kartoffel
Petersburg
Eröffnung des „Mariinsky II“
Theatertechnik auf der Höhe der Zeit im
prestigeträchtigsten kulturellen Neubau seit
der Zarenära. 4000 Quadratmeter iranischer,
von
LED-Technik
hinterleuchteter
Onyx,
brasilianischer Marmor, Buche aus Deutsch-
land, ebenso die vibrierend warme Akustik.
Nach innen gewandte Schlichtheit, doch
zielsicheres Geltungsbewusstsein. Auf der
Bühne Plácido Domingo, Anna Netrebko, der
deutsche Bass René Pape und ein Vorabaus-
schnitt aus Sasha Waltz’ neuem „Sace du
printemps“, im Graben einer der führenden
Dirigenten unserer Zeit. Das alles im größten,
produktivsten Musiktheaterkomplex der Welt.
Vor zwei Dekaden hätte solche harte Fakten
in Russland keiner von einem Opernhaus zu
träumen gewagt.
Eigentlich müsste gleich hinter dem
Krjukov-Kanal in St. Petersburg das alte
pistaziengrüne Mariinsky-Theater von einer
Goldenen Kartoffel überragt werden. Eine
solche hatte nämlich vor zehn Jahren der
Architekt Dominique Perrault geplant. Es
wurde aber eine Kaufhauskiste von dem
Kanadier Jack Diamond, denn dem über-
mächtigen Musikzaren Valery Gergiev hatte
der erste Entwurf nicht behagt. Und da er an-
schaffte und der andere Zar, sein Freund
Vladmir Putin, zahlte, steht da jetzt zehn-
stöckig eine unproportioniert monströse Jura-
stein-, Stahl- und Glaskiste, die als Mariinsky II
für über 534 Millionen Euro zu den teuersten
Theaterbauten der Welt zählt.
An seinem 60. Geburtstag, 25 Jahre nach-
dem er hier angefangen hat und einen Tag
nachdem er vom Präsidenten mit vier anderen
zum „Held der Arbeit“ geadelt worden war
(zum ersten Mal seit 20 Jahren wurde der einst
stalinistische Titel wieder verliehen), eröffnete
Gergiev in dessen Anwesenheit seine neueste
Bühne mit einem so vergnüglich wie fein-
sinnig komponierten, die unhörbaren Fähig-
keiten der deutschen Bühnentechnik vortreff-
lich ausspielenden Galaprogramm.
Valery Gergiev regiert nun über zwei
Opernhäuser sowie den nahen, ebenfalls
Musiktheater anbietenden Mariinsky Konzert-
saal. Über 2500 Mitarbeiter herrscht er, allein
das Orchester wird jetzt auf 250 feste Musiker
aufgestockt, die vier Aufführungen gleich-
zeitig meistern sollen. 1000 Vorstellungen
im Jahr sind geplant. Nur wer soll die alle be-
suchen?
Roland Mackes
Da Capo
Gezischtes Doppel: Premierennotizen
der RONDO-Opernkritik
Die Feen. Solisten,
Kinderkomparsen und
Chor der Oper Leipzig
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