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schauerraum. Im letzten Sommer aber ent-
zückte Davide Livermore mit dem biblischen
Frühwerk „Ciro in Babilonia“, das er ganz aus
dem augenrollenden Geist des Monumental-
stummfilms gestaltete. Auch die hier end-
lich szenisch debütierende Ewa Podles als
derzeit führender Koloratur-Kontraalt hatte
ihren Spaß. Zudem koproduziert man ver-
stärkt. Lange schon mit dem Teatro Comunale
Bologna, das jedes Jahr auch das Haupt-
festivalorchester stellt.
Akademie statt Jet-Set-Karussell
Die teuren Singvögelchen, die die Rossini-
Botschaft inzwischen über den Globus ge-
tragen haben, flattern nur noch selten
ein. Pesaro hat in der Frühzeit Stars an-
gezogen – wie Marilyn Horne, Montserrat
Caballé, René Fleming, Rockwell Blake, Chris
Merritt, William Matteuzzi, die junge Cecilia
Bartoli und Samuel Ramey –, aber immer
auch welche gemacht. Neben Patrizia Ciofi
und Daniela Barcellona ist hier seit 1996
Juan Diego Flórez der am hellsten strahlende
Stern. Man setzt inzwischen aber größtenteils
auf den hauseigenen, von dem grandiosen
Belcanto-Spezialisten Alberto Zedda in der
Festivalakademie stilistisch lupenrein heran
gezüchteten Nachwuchs als „neue“ Rossini-
Sängergeneration – komme die nun aus Italien,
Spanien, Russland, Deutschland, China. Oder
gar aus Peru, wie Flórez, der selbst als weltweit
führender Belcanto-Tenor weiterhin fast all-
sommerlich Pesaro die Treue hält. Er hat, wie
einst Luciano Pavarotti, sogar ein Haus in den
Hügeln. Hier im Rossini-Sommer gibt er sich
höchst unkompliziert, man kann ihm sogar
beim Pizza-Essen zusehen.
Man konnte in Pesaro erst-
mals Joyce DiDonato be-
gegnen
oder
der
so
hübschen
wie
be-
gabten Russin Olga
Peretyatko, die sogar
Michele
Mariotti,
den
dirigierenden
Sohn
des
Festival-
Intendanten
betörte.
Als Paar machen sie
gerade Weltkarriere – mit
Basis Pesaro. Alex Esposito
bewährte sich hier als flexibler
Bariton. Francesco Meli, Antonino
Siragusa sowie die beiden Russen Maxim
Mirov und Dmitry Korchak haben sich hier
als Rossini-Tenöre bewährt. Auch die Mezzos
Sonia Ganassi und Marianna Pizzolato sind
feste Größen. Das Belcanto-Paradies liegt also
weiterhin an der Adria, wo man sich jeweils
drei Tage in Folge im Hochsommer an Opern-
trüffeln à la Rossini delektieren kann.
Weiterhin dient das entzückende (aber
sichtbehinderte)
Teatro
Rossini
als
Hauptquartier;
aber
meist werden zwei der
Produktionen
in
der
mit einer raffinierten
Doppelbühne geteilten
Adriatic Arena, einer
klotzigen
Basketball-
Sporthalle am Stadt-
rand,
gespielt,
wo
mehr Karten zu ver-
kaufen sind. Schließlich
hat der Staat seine Sub-
ventionen
deutlich
ge-
drosselt. Was nicht ohne Folgen
blieb: Man widmet sich mehr dem
kargeren Regietheater, während hier früher
vornehmlich von den Herren Ronconi und
Pizzi nur teuer dekoriert wurde.
Der heute vielgefragte, immer noch sehr
junge Italiener Damiano Michieletto be-
geisterte in Pesaro mit einer intelligent-
abstrakten „Diebischen Elster“ und ver-
legte den düsteren „Sigismondo“ gleich ins
Irrenhaus. Graham Vick entfesselte kürz-
lich mit einem in den Gazastreifen verlegten
„Mosè“ fast einen Skandal samt Eklat im Zu-
so immer aufregender zu hören, wie Rossini
erfolgreiche Modelle und Melodien variiert
und verändert, sich aus seinem eigenen Bau-
kasten bedient hat, Partikel aus komischen
Werken plötzlich in ernsten Stoffen wie ver-
wandelt erscheinen.
Das wird von einem international an-
reisenden Publikum goutiert, wie sonst
nirgendwo in Italien. Und dieses trägt ein
völlig verwandeltes Rossini-Bild in die Welt
hinaus, das eine radikale Neubewertung be-
wirkt hat wie bei kaum einem Komponisten
in den letzten Jahrzehnten. Sängerspaß be-
reitet es zudem. Während in den Pionierjahren
hier
vor
allem
berühmte
Amerikaner
gastierten, bäckt und schult man sich jetzt
die Rossini-Stars von morgen in der eigenen
Akademieküche. Diese Rezeptur funktioniert
glänzend. Und wirkt besonders sympathisch
im skurrilen Mit- und Gegeneinander dieser
Parallelwelten aus italienisch dominierter
Mittelklasse-Badekultur
am
übervollen
Adriastrand und globalen Operngourmets
wie Raritätensammlern im wenige hundert
Meter entfernten Theater: Wasserwonne und
Rossinisonne liegen hier an einer einzigen
Straße, ebenso übrigens das bescheidene Ge-
burtshaus, heute ein originelles Museum.