16
Foto: Iko Freese/drama-berlin, Anja Frers
borstig und kitzlig und pieksend
war, traf es nicht.
Wer
erfahren
will,
was
Operette will, höre die legendäre
Fritzi Massary mit „Warum soll
eine Frau kein Verhältnis haben“
(aus Oscar Straus’ „Eine Frau, die
weiß was sie will“). Oder Richard
Tauber, wenn er „Das Leben
durchs
Champagnerglas
be-
trachtet“ („Zwei Märchenaugen“
aus der „Zirkusprinzessin“ von
Emmerich Kálmán). Und Alt-
Legenden wie Jan Kiepura, Vera
Schwarz und Peter Anders. Ihre
Hits sagten dem kategorischen
Imperativ des Spießbürgertums
den Kampf an. Sie waren die Apo-
theose eines neuen Bürgertums
aus dem Geiste der Unbürger-
lichkeit. Unspießig, frivol und
alles andere als philiströs. Diese
Tradition ist verlorengegangen,
leider. Der Grund ist nicht einmal
komisch.
Die Nazis waren Schuld. Das
laszive Treiben besonders der
„silbernen“ Operette (also alles
nach Strauß, Suppé, Millöcker
und Zeller) war ihnen – ob-
wohl sonst so unterhaltungsver-
sessen – suspekt. Zwar galt die
„Lustige Witwe“ als Hitlers Lieb-
lingswerk. Doch schon deren
Komponist Franz Lehár konnte
seine jüdische Frau nur mit
knapper Not vor dem Zugriff der
ernst nehmen, das durfte sich die
Operette selber nicht.
So wurde sie vom Zeit-
geist übel untergebuttert. Am
schlimmsten dort, wo man ihr zu
schmeicheln behauptete. In den
60er und 70er Jahren zum Beispiel,
als man der Operette mit Haar-
spray, gerüschten Abendfummeln
und Anneliese Rothenberger ein
zeitgemäßes Fernseh-Image ver-
passen wollte. Oder noch früher,
in den 50ern, als Rudolf Schock
den Witz mit Pomade festzu-
kleben verstand. Das war alles
gut gemeint – und zuweilen sogar
wirklich gut (z.B. in „Zigeuner-
liebe“ mit Schock oder im „Walzer-
traum“ mit Rothenberger). Aber
den Sinn der Operette, der immer
Die Operette, eine stark vom
Aussterben
bedrohte
Spezies,
ist die wohl am meisten aus-
geweidete, verlachte und ver-
triebene Gattung des Musik-
theaters. Sie konnte sich nie
wehren, weil sie ja zum Lachen
auf die Welt gekommen war. Sie
enthält einige der triftigsten
philosophischen
Wahrheiten
der
Musikgeschichte:
„Ganz
ohne Weiber geht die Chose
nicht“ oder auch: „Glücklich ist,
wer vergisst, was nicht mehr zu
ändern ist“. Sie wollte immer nur
amüsieren, leicht sein und Spaß
machen. Und hat dabei, neben-
bei gesagt, den Verhältnissen
dreist auf der Nase herumgetanzt
und ins Gesicht gespuckt. Aber
A
uf „Lara’s Theme“, das
berühmte Hauptthema
in „Doktor Schiwago“,
kam der Operetten-
komponist Robert Stolz in seinen
Memoiren zu sprechen: „Ich will
keineswegs unterstellen“, so Stolz,
„dass jemand mir das Thema ge-
stohlen hat – aber um alle Zweifel
zu zerstreuen, muss ich doch
sagen, dass ich es gut vierzig
Jahre, bevor Doktor Schiwago ent-
stand, geschrieben habe.“ Und
zwar in Gestalt des Liedes „Vater
Strauß, schau runter und hör’ den
Applaus“. Die Ähnlichkeiten zu
Maurice Jarres „Lara“-Thema sind
tatsächlich frappant. Robert Stolz
nahm’s, wie es seiner Zunft ge-
bührt: mit Humor.
Musiktheater
Operette sich wer kann!
Borstig, kitzlig und verpönt: Die Operette, lustigste Ab-
art der Oper, kehrt zurück.
Von
Robert Fr aunhol zer
Operettenhauptstadt:
An der Komischen
Oper wird das Genre
vom Tüll befreit