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Foto: Amati Bracciardi
prallen Koloraturkulinarik und Laborver-
such unmittelbar aufeinander. Zudem wird es
Was immer noch zu Überraschungen
führt, auch wenn man bis auf zwei Stücke
jetzt alle zumindest einmal vorgestellt hat.
Doch
während
Wagners
Musikdramen
längst ihren Siegeszug durch die Welt ab-
geschlossen haben, waren vor Pesaros Sieges-
zug mit gutem Willen höchstens zehn Rossini-
Opern Allgemeingut. Insbesondere dessen
ernste Werke traten von hier aus wieder ins
Licht diverser Musikbühnen und tun dies in-
zwischen mit schöner Regelmäßigkeit.
Da nach wie vor zeitgleich die einst
von Claudio Abbado angestoßene kritische
Rossini-Notenausgabe entsteht, die erst die
Initialzündung für die szenische Überprüfung
im niedlich provinziellen Teatro Rossini,
im klassizistischen Saal des Conservatorio
Rossini wie in diversen, akustisch passablen
Sporthallen am Geburtsort gab,
finden sich bisher fast jede Saison
noch Novitäten – bei einem
gut gemixten Spielplan aus
höchstens drei Premieren, eine
davon eine Wiederaufnahme.
Rossini-Renaissance
Die
blühende
Rossini-Renais­
sance, vor allem bei den Jahr-
hunderte lang vernachlässigten,
von musikalischen Kostbarkei­
ten überquellenden Seria-Opern,
ist inzwischen ein weltweites
Phänomen. Die hier radikal
als monomanische Mis­
sion durchgezogene Auf-
klärungsarbeit hat es
vermocht, dass wir
inzwischen
gelernt
haben, was für ein
kühner Experimenta­
tor Rossini vor allem
in
seinen
ernsten
Opern etwa der neapo­
litanischen Periode ist. Da
S
eien wir ehrlich: Der Adriaort Pesaro
ist im Hochsommer nicht unbedingt
ein Traumziel. Zwar rösten sich hier
schon lange nicht mehr die Urlauber
aus Wanne-Eickel am notorischen Teutonen-
grill. Der Strandstreifen von Rimini, über
Riccione, Cattolica, Fano, Senigallia bis Ancona
ist längst fest in italienischer Familienhand.
Die toben und lärmen in 16 militärisch fest-
gelegten Liegestuhlreihen, fahren inzwischen
nicht immer sicher mit dem Fahrrad durch die
Innenstädte. Idyll sieht anders aus, auch wenn
es die prachtvolle Villa Imperiale gibt, den
alten Palast der Herzöge mit einer schönen
Gemäldegalerie, ein Fayencenmuseum, den
restaurierten Dom und die Backsteinwälle des
Forts.
Aber die Massen sind tagsüber am Strand.
Und da stehen auch deren Hotels. Mehr Ghetto
geht fast nicht. Denn man kann herrlich in
den Hügeln wohnen und wunderbare Aus-
flüge nach Urbino, Jesi, Macerata, Recanati
oder Loreto machen. Auch das Essen ist hier
nicht das Schlechteste. Denn es gibt eben
einen gewichtigen Grund, mitten in der Hoch-
saison in diese Touristenhochburg zu fahren:
das Rossini Festival, eines der wenigen, die
neben Wagner und Händel sowie sehr wenig
Donizetti in Bergamo einem Komponisten ge-
widmet sind. Und wie der Sachse mit Halle,
Göttingen und Karlsruhe gleich dreimal ge-
feiert wird, so ist auch der 1792 hier geborene
„Schwan von Pesaro“ doppelt beglückt: Sogar
im Schwarzwälder Bad Wildbad feiert man ihn.
Bald
101
Richard-Wagner-Festspielen
seit 1876 in Bayreuth stehen nun immer-
hin 33 Rossini-Opera-Festivals in Pesaro
seit 1980 gegenüber. Und während auf dem
Grünen Hügel nur zehn sanktionierte Opern
im Wechsel gespielt werden, stehen in dem
Ort zwischen den Hügeln – mit allen Um-
arbeitungen, Bühnenmusiken und durchaus
szenisch aufführbaren Huldigungskantaten –
etwa 40 Werke zur Auswahl.
Musikstadt 
Pesaro
Adriagrill und Rossinis Belcanto-Paradies dicht
bei dicht: Seit 33 Jahren lohnt sich nicht nur für
Raritätensammler die hochsaisonale Fahrt in die
Hügel der Marken.
Von
Mat thi a s S i ehler
Es ist angerichtet
Das 34. Rossini-Festival präsentiert zwischen dem 10.
und 23. August wieder drei Opern. Zum zweiten Mal gibt
es den diesmal ungekürzten „Guillaume Tell“ mit Nicola
Alaimo, Juan Diego Flórez, Simone Alberghini und Marina
Rebeka. Michele Mariotti dirigiert die Neuproduktion
von Graham Vick. Im Teatro Rossini gehen bei „L’Italiana
in Algeri“ José Ramón Enicar musikalisch und Davide
Livermore szenisch ans Werk. Anna
Goryachova und Alex Esposito
singen. Und als Wiederauf-
nahme gibt es ein Rendez-
vous mit einem Pesaro-
Klassiker: Jean-Pierre
Ponnelles vergnüg-
liche Visualisierung
der frühen Farce
„L’occasione fa il ladro“
– „Gelegenheit macht
Diebe“ mit dem köst-
lichen Baritonbuffo Paolo
Bordogna.
Gewitzte
­Verfremdung:
Ciro in
Babilonia im
Stummfilmlook
2012
1...,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23 25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,...52