das war natürlich das Rollendebüt von
Anna Netrebko
als Tatjana in Peter Tschai-
kowskis
„Eugen Onegin“
. Die beharrlich be-
rühmteste Sopranistin der Welt, die die wohl
traditionsreichste Sopranpartie des russischen
Repertoires mit viel Pomp und weltweiter
Kinoübertragung im September zur Saison-
eröffnung der New Yorker
Metropolitan
Opera
neuerlich singen wird, hat sich für diese
erste Gipfelerkundung bequemerweise ihren
gegenwärtigen Lebensmittelpunkt Wien aus-
gesucht.
Und da stand sie nun, in
Falk Richters
vier Jahre alter, kühl modernistisch-mini-
malistischer, dauerbeschneiter Inszenierung.
Wie festgewurzelt, nur langsam fortgerissen
in einem nie gekannten Gefühlssturm, der in
der nächtlichen Briefszene, dem immer noch
schönsten erotischen Erwachen der ganzen
Opernliteratur, wie eine Naturgewalt aus ihr
herausbrach. Netrebkos dunkel glühende
Stimme mit dem festen Kern und dem an-
genehm sich verbreitenden Höhenvibrato
scheint dafür ideal geeignet. Sie hat sich Zeit
gelassen mit der Tatjana, jetzt schon ist sie
ganz die ihre.
Das hörte man spätestens in der Peters-
burger Ballszene, in eleganter Robe auf
schimmernden Treppenstufen. Jetzt war sie
die Königin der Gesellschaft, immer noch in
den hyperblasierten, auch nach 20 Jahren im
Onegin-Geschäft grandios fiesen sibirischen
Silbertiger
Dmitry Hvorostovsky
verliebt,
aber ihn aus bürgerlichem Kalkül abweisend.
Das steigerte sich im vokalen Finalduell bis
zum Schrei – schön, wohlig, verzweifelt und
doch gefasst.
Ein grandioser Netrebko-Triumph, ein-
gerahmt und verschönt von einem fast
komplett russisch sprechenden Ensemble.
Und am Pult der nicht nur bei den Holz-
bläsern motivierten
Wiener Philharmoniker
streichelte
Andris Nelsons
diese herrliche
Partitur als lyrische, auch emotional zu-
packende Herzensangelegenheit.
Könnte man Ähnliches doch aus der angeb-
lichen Opernhauptstadt
Berlin
berichten:
Da wärmte die
Lindenoper
Philipp Stölzls
bilderprächtige, aber bei näherer Draufsicht
im Sein- und Scheinspielen etwas konfuse
„Holländer“
-Inszenierung aus Basel von 2009
auf. Da steigt der Seefahrer aus einem Bild
in die Bibliothek, und die träumende Senta
schneidet sich am Ende die Pulsadern auf.
Neben einer wenig tollen Besetzung, aus der
Michael Volle
in der Titelrollen bassbariton-
prächtig hervorragte, war das Bemerkens-
werteste, dass erstmals seit 21 Jahren bei einer
Wagner-Premiere der Staatsoper zwar ein
Daniel dirigierte, der aber nicht Barenboim,
sondern
Harding
hieß – und einen eher sach-
lichen Pultjob verrichtete.
Manchmal muss man die
Wiener Staats-
oper
richtig lieb haben. Nicht nur, dass sie
unter der bisher eher gemütlichen Leitung
des Elsässers Dominique Meyer langsam auch
bei den Premieren in Fahrt kommt. Da gab es
doch vor kurzem im normalen Repertoireall-
tag, ohne PR-Tamtam und erhöhte Wahnsinns-
preise, einmal die letzten Vorstellungen des
wohl längsten
„Don Carlos“
der Welt in der
französischen Fassung – nicht nur im Verdi-
Jahr ein absolutes Alleinstellungsmerkmal,
auch wenn die (kürzere) Ur-Inszenierung
Peter
Konwitschnys
nach wie vor den Hamburger
Opernspielplan ziert.
Dann sangen hier in
„Werther“
das
Traumduo
Roberto Alagna
und
Elīna
Garanča
. Zudem war das Hausdebüt des
neuen russischen Sopransternchens
Olga
Peretyatko
zu feiern. Zwar ist die dafür aus-
erwählte, pappendeckelreiche
„Rigoletto“
-
Inszenierung
Sandro Sequis
von 1982 nur
zwei Jahre jünger als sie selbst, aber nach all
den aktuell missglückten Regieversuchen von
München bis Berlin in ihrer historistischen,
zumindest die Handlung verständlich nach-
buchstabierenden Kulissengemütlichkeit fast
schon eine Wohltat.
Simon Keenlyside
ist ein
buckliger Hofnarr mit Schellenstab wie aus
dem Kostümbilderbuch, spielt sich einen Wolf
und hat doch überhaupt kein Timbre und nicht
die schwarze Fülle für diesen prototypischen
Verdi-Vater. Dafür ist die Gilda der Peretyatko
ein zart vertschilptes Koloraturvögelchen der
sehr liebenswerten Art, noch ein wenig ge-
hemmt vielleicht, aber sich manierlich ver-
strömend beim Erlösungstod im Jutesack vor
angegilbtemMantua-Panorama.
Doch worauf nicht nur die Wiener Steh-
platz-Verrückten
stundenlang
ausharrten,
Fanfare
Proben, Pleiten und Premieren:
Höhepunkte in Oper und Konzert
Von
Rol and Mackes
Wiener Staatsoper:
Anna Netrebko in
„Eugen Onegin“
Berlin Lindenoper:
„Der fliegende
Holländer“
26