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Klass i k
helm Heinses 1787 erschienenen
Roman „Ardinghello“ herleitet.
Die Musiker vermeiden so-
wohl die Fehler hochromantisch
geprägter Musiker, bei denen die
klassisch angehauchten Partien
bei Danzi oft zu schwer und un-
durchsichtig werden; anderer-
seits widerstehen sie aber auch
der Versuchung, das „Historische“
durch allzu barocke Artikulation,
raue Tongebung oder peitschende
Sturm-und-Drang-Gesten über-
zubetonen. Ob virtuose Belcan-
to-Seligkeit, romantische Sehn-
sucht nach dem Landleben, klas-
sischer Idealismus oder Momente
von Selbstvergessenheit und Ca-
price – all dies fügen die Inter-
preten mit klarem Formbewusst-
sein bei detailreicher Artikulation
und einem besonders feinen Ge-
spür für harmonische Schattie-
rungen zu einem luziden Ganzen,
das zum hörenden Mitmusizie-
ren einlädt. Als systematische Er-
kundung der Ausdruckscharakte-
re der Flöte im gleichberechtigten
kammermusikalischen Dialog mit
den Streichern dürfte gerade die-
se Werkfolge dazu beitragen, dass
Danzi endlich wieder die ihm ge-
bührende Wertschätzung erfährt.
Carsten Niemann
Diverse
„vom küsslichen Mund“ –
Lieder der Mozart-Zeit
●●●●○
Markus Schä-
fer, Christine
Schornsheim
Crystal/Delta
Music
(66 Min., 12/2009)
[…] Der frisch entdeckte „Volks-
ton“, das Strophenlied und die
tändelnde, manchmal auch leicht
moralisierende Idylle bilden den
Hintergrund, vor dem sich die
Wiener Liedkunst zu Mozarts Zeit
entfaltete, doch strecken viele
Komponisten bereits hörbar die
Fühler nach der Romantik aus.
Hier und da schielt der eine oder
andere von ihnen auch mal mit
einer Koloratur nach der Oper oder
belebt die Naturbeschreibungen
mit Tonmalereien, die Christine
Schornsheimmit viel Geschmack,
Variation an lässt Ax die Es-Dur-
Energien mit einer detailverlieb-
ten Behutsamkeit verebben, die
uns neugierig macht, wie Beet-
hoven diese zweifelnden Gegen-
kräfte wohl verwandeln wird. Vie-
le Pianisten zelebrieren diese Mo-
mente um der Kontrastwirkung
willen – sehr schön und sinnvoll
auch das –, bei Ax aber wird die-
ser „Innehalt“ allmählich zu einer
Art verborgenem Gegenthema.
Schon in der versonnenen fünf-
ten Variation hält er die Ferma-
te so lange, bis wir beunruhigt
aufhorchen müssen, sei das Um-
feld noch so unverbindlich klang-
schön und poliert, und in der gro-
ßen Moll-Variation lässt er ahnen,
dass diese Mächte melancholi-
schen Stillstandes einmal siegen
könnten.
Aber alles wird gut: Mit der
geradezu euphorisierend klang-
schön und kontrolliert aufgebau-
ten Fuge stellen Ax und Beetho-
ven die heile Welt wieder her. Es
ist ein Vorgriff auf das Wunder
des Opus 110, und Ax führt uns
das Erlösungsereignis schlüssig
vor Ohren: Im Abgesang der Coda
sind die hemmenden Kräfte des
ominösen Dominantseptakkords
abgebaut, glücklich fließt die Me-
lodie über diese Schwelle hinüber.
Jetzt ist leider gar kein Platz
mehr für ein paar Schumann-
und Haydn-Komplimente übrig.
Aber glauben Sie mir, auch das
wird betörend gediegen geboten.
Bleibt nur meine dringende Emp-
fehlung, diese Perle aus dem gan-
zen Neuerscheinungen-Schrott
herauszufischen. Man wird reich
und anhaltend belohnt!
Matthias Kornemann
Franz Danzi
Flötenquartette op. 56
●●●●○
Karl Kaiser,
Ardinghello
Ensemble
MDG/Codaex
(59 Min., 10/2012)
[…] Dass sich das Ensemble auf
die historisch informierte Inter-
pretation der Romantik speziali-
siert hat, hört man nicht nur sei-
nem Namen an, der sich von Wil-
Vokal total
von
Michael Blümke
Faustina Bordoni ist derzeit groß in Mode. Erst vor weni-
gen Monaten veröffentlichte Vivica Genaux eine Hom-
mage an die berühmte venezianische Sängerin (siehe
„Vokal total“ 1/2013), jetzt zieht
Roberta Invernizzi
mit „I
viaggi di Faustina“ nach. Doch während Genaux Werke
von Händel und Bordoni-Ehemann Hasse präsentierte, spart Inverniz-
zis Programm genau diese beiden aus und konzentriert sich auf die
heutzutage weniger populären Zeitgenossen Vinci, Mancini und Por-
pora. Ein sehr viel abwechslungsreicheres Programm also, und ein ent-
schieden ergiebigeres, anregenderes. Auch und besonders, was die
sängerische Seite anbelangt. Eine Sopranistin wie Invernizzi sieht sich
in Bordoni-(Mezzo-)Partien nicht mit unbequemen Höhen konfrontiert,
allerdings gibt es enorme Anforderungen an die Beweglichkeit und Ko-
loraturfähigkeit. Selbst die großen Intervallsprünge in der hochvirtuo-
sen Nachtigallen-Arie aus Mancinis „Traiano“ meistert sie absolut
sauber.
Glossa/Note 1
Wie Bordoni stammte auch Benedetto Marcello aus Ve-
nedig. Der Spross einer Patrizierfamilie war zwar so et-
was wie ein Berufspolitiker, widmete sich aber dennoch
zeitlebens sehr intensiv der Komposition. Allein 84 Du-
etti da camera gehen auf sein Konto, sieben davon fin-
den sich auf einem Konzertmitschnitt aus Brixen vom August 2010 mit
Silvia Frigato
und
Sara Mingardo
. Mingardo, die übrigens ebenfalls
Venezianerin ist, verströmt wie immer verführerisch samtige Alttöne.
Ihre Kollegin allerdings erweist sich, wie wohl technisch nicht zu bean-
standen, als monochrom und einfallslos. Zudem verhärtet sich ihr Sop-
ran in der Höhe zunehmend, bekommt dort einen immer unschöneren,
penetranteren Klang. Dadurch harmonieren die beiden Stimmen nicht,
vermischen sich nicht. Es ist, als würde man Essigessenz statt Balsami-
co über die Erdbeeren träufeln. Und so wird trotz 1a-Mingardo-Qualität
leider kein leckeres Dessert daraus.
fra bernardo/Note 1
Nach ihrer Marietta Marcolini gewidmeten CD mit Rari-
täten des frühen 19. Jahrhunderts (siehe „Vokal total“
6/2012) kehrt
Ann Hallenbetrg
zurück zu ihrem Kernre-
pertoire, dem Barock. Seltsamerweise entstand „Hidden
Handel“ bereits im Sommer 2010, also noch deutlich vor
ihrer im vergangenen Jahr als Solodebüt gehandelten Marcolini-Auf-
nahme. Doch wie dem auch sei, dieses Programm mit Händelschen Al-
ternativarien ist ein wahres Juwel. Obwohl die Schwedin seit vielen
Jahren ausnahmslos erstklassige Leistungen bietet, zeigt sie sich hier
von der ersten Arie an noch gelöster, noch begeisternder als sonst. Das
zieht sich durch die gesamte CD – entspannt und mit selbstverständli-
cher Souveränität reiht sie eine Perle (musikalisch wie stimmlich) an
die nächste. Ihr weicher, schlanker Mezzo hat in diesen zwölf Arien,
von denen neun Ersteinspielungen sind, eine ganz besonders cremige
Note, führt aber beispielsweise in „Vinto è l‘amor“ aus „Ottone“ auch
ihre leichtgängige Agilität vor.
naïve/Indigo
Zum Abschluss noch mehr Händel. Alle seine Opern
wurden mittlerweile eingespielt, so macht man sich
jetzt an seine Pasticci:
„Giove in Argo“
ist das dritte und
letzte Werk dieser Gattung, 1739 uraufgeführt. Eigentlich
handelt es sich dabei eher um eine abendfüllende Pasto-
rale, weshalb das Werk nicht ganz so zündet wie Händels dramatischer
angelegte Opern. Der Hingabe des guten bis sehr guten Solistenen-
sembles (u.a. Ann Hallenberg, Karina Gauvin und Anicio Zorzi Giusti-
niani) tut dies aber keinen Abbruch.
Virgin Classics/EMI